Die künstlerische Arbeit von Bodo Sperling schöpft aus einer Reihe sehr verschiedenartiger Quellen. Diese Vielfalt der Ursprünge potenziert Sperling dann in den konkreten Einzelergebnissen des kreativen Prozesses: Sie zeichnen sich nicht nur durch ein hohes Maß an Originalität und einen deutlich wahrnehmbaren innovativen Impuls aus, sondern auch durch theoretische Tiefe und Aktualität. Wenn man diese vier Merkmale einer Betrachtung unterwirft und sie dabei in umgekehrter Reihenfolge durchläuft, dann stößt man zunächst auf das Moment der Aktualität und Gegenwartsbezogenheit. Die Aktualität der ganz persönlichen Art und Weise, in der dieser Künstler ästhetische Vielfalt erzeugt, zeigt sich besonders prägnant in der Einbindung modernster Informationsverarbeitungstechnologie in den kreativen Prozess selbst. Denn seit 1984 benutzt Sperling den Computer als wichtigstes Arbeitswerkzeug. Es sind dabei nicht nur die grafischen Möglichkeiten der heut zur Verfügung stehenden Software, die ihn auf diesen Weg geführt haben. Vielmehr ist es auch die pure Geschwindigkeit der Hardware, die handwerkliche Routinearbeiten umgeht und die Authentizität der künstlerischen Inspiration wesentlich direkter in die objektive Wirklichkeit zu transportieren vermag. Bodo Sperling ist auf diese Weise ein Künstler, der in vielerlei Hinsicht sehr unmittelbar am Puls der Zeit arbeitet.
Bodo Sperling versucht nämlich sehr oft, die Rezipienten seiner Kunst in ihren eigenen Verstehungsprozess "einzusetzen" und ihnen dadurch neue Formen des Sehens und Erlebens von Kunst zu eröffnen. Dazu muss er zunächst automatisch ablaufende Projektionsvorgänge im Geiste des Betrachters abwehren - dies geschieht durch die repetitiven und hochgeordneten Elemente in seinen Bildern. Dann soll in einem zweiten Schritt - und eben doch gleichzeitig - das schauende Bewusstsein des Beobachters durch die spielerischen Elemente im Objekt auf neuen Assoziationspfaden in eine Gegenwart gelockt werden, die eine neue Gegenwart ist.
Auf diese Weise entsteht jetzt aus der bereits erwähnten methodisch-technischen fundierten Geschwindigkeit und Aktualität des kreativen Prozesses, in Verbindung mit dem theoretischen Hintergrundrahmen (der zunächst nur unmerklich und unsichtbar in diesen Prozess hineinwirkt), ein echter innovativer Impuls. Das Neue kommt jedoch zwanglos, freudvoll und durch hohen ästhetischen Gehalt zustande: Bodo Sperling Werke laden ein zum reinen schauen, zum genießenden Verweilen in der Gegenwart. Neu sind nicht nur die Vielfalt der Formen und Farben, neu sind auch die vielen verschiedenen Arten im Schauen erlebter Gegenwart. Dieses Schauen selbst ist dann ein ganz untechnisches Schauen, in dem sowohl die Stärken als auch die Schwächen des neuen Mediums auf einer höheren Ebene aufgehoben sind: Sperlings Malerei führt den Betrachter auf symbolischer Ebene in sich selbst zurück.
Dies ist auch einer der Gründe, in denen die unbestreitbare und auf vielen Ebenen gelagerte Originalität dieses Künstlers und seines Werkes wurzelt, Sperlings Arbeiten sind von ihrer konzeptuellen Struktur her so angelegt, dass jeder Betrachter auf immer andere Weise in eine neue schauende Gegenwart und aus dieser zurück in sich selbst geführt wird. Die Originalität von Sperlings Arbeiten besteht deshalb nicht nur in einem höchst individuellen und theoretisch durchdachten Ansatz und auch nicht bloß in der Originalität der zur Durchführung dieses Ansatzes eingesetzten Mittel. Es ist die Originalität der einzelnen Betrachter selbst, die Originalität der wechselnden psychischen Um-Felder, welche dieser Künstler zu aktivieren sucht.
Natürlich ist eine solche Hinführung zur Selbsterzeugung von Originalität und Aktualität nicht unabhängig von der Person des Künstlers denkbar. Bodo Sperling hat sich schon früh zur Subkultur der Künstler hingezogen geführt und lebte dementsprechend viele Jahre in Berlin und Amsterdam. Auf ausgedehnten Reisen nach Kleinasien und Südamerika kam er in Kontakt mit der Kunst anderer Kulturen, er lernte die Ornamentik des Islam und die visionäre Kunst vergangener indianischer Hochkulturen kennen. 1977 machte Sperling das Konzept der Feedback Art - also einer Kunst, die auf den Betrachter zurückwirkt und diesen in eine Schleife aus kreisförmig fließender Information einbindet - zum Namen der von ihm in Zwingenberg gegründeten Galerie. In dieser Phase bereits studierte er in seiner praktischen Arbeit den Einfluss der temporalen Feinstruktur unserer Wirklichkeit auf das Bewusstsein des erlebenden Subjekts und versuchte, den schnellen Fluss der äußeren Zeit in Gestalt großflächiger Bilder anzuhalten.
Besondere Bedeutung bezüglich des bereits erwähnten Zusammenhangs von Beobachter, Chaos und Ordnung besitzen die von ihm in der folgenden Phase entwickelnden Kristalltafeln. Durch diese Bilder aus Kristallen, die ein scheinbar zufälliges Verteilungsmuster mit großer geometrischer Strenge verbinden, ist Bodo Sperling sehr bekannt geworden. Seine Kristalltafeln fanden wohl auch deshalb so große Beachtung beim Publikum, weil sie im konkreten Objekt das Wirken quasi-geistiger Ordnungsprinzipien in der Natur selbst wiederum der ästhetischen Anschauung zugänglich machen.
Heute nun benutzt Bodo Sperling die Silizium-Chips seines Computers, um seiner künstlerischen Inspiration einen besonders schnellen und noch umfassenderen Kanal zur Kristallisierung zur Verfügung zu stellen. Auch Silizium ist ein Kristall. Indem er sein eigenes Bewusstsein und den von ihm eingesetzten Rechner für einen höhersufigen Prozess der Selbstorganisation und kreativen Kristallisierung von innerem Erleben einsetzt, kommt es zu einer Verschmelzung von Subjekt und Objekt in konkreten Objekten. Einige solcher konkreter Objekte werden in dieser Ausstellung nun in Form von Tafelbildern gezeigt. Als attraktive ästhetische Objekte bieten sie jetzt jedem betrachtenden Subjekt die Möglichkeit, diese grafische Kristallisierung des kreativen Prozesses wieder aufzukösen und somit Subjekt und Objekt auf einer neuen Ebene zu verschmelzen: Im Fluss des Erlebens, der in eine neue Form des Gegenwärtig seins führt.
Prof. Dr. Thomas Metzinger
Vorwort zu Bodo Sperling